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Es ist mittlerweile fast schon traurige Gewohnheit: nach Abstimmungen und Wahlen berichten zahlreiche Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer davon, dass sie ihre Unterlagen nicht rechtzeitig (oder gar nicht) erhalten haben und somit nicht am demokratischen Prozess teilnehmen konnten. Im Zuge der letzten Abstimmungen vom 27. September erhielt diese Problematik eine zusätzliche Brisanz: gemäss SRF/gfs.bern hätte die Fünfte Schweiz das Resultat der Kampfjet-Abstimmung eventuell ins Gegenteil verkehren können.

Am 29. November 2020 stehen mit den Initiativen zur Konzernverantwortung und zu den Kriegsgeschäften wieder zwei heiss diskutierte Vorlagen zur Abstimmung. Dabei ist wohl zu erwarten, dass das Abstimmungsprozedere für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erneut nicht ganz reibungslos vonstattengehen dürfte – und dies wird wohl gerade bei solch kontroversen Themen für viele Beteiligte umso ärgerlicher sein.

 

Ein Defizit für die Demokratie?

Die Schweiz ist zurecht stolz auf ihre direkte Demokratie, welche dem Volk äusserst ausgeprägte Mitbestimmungsrechte einräumt. Mit der Möglichkeit, durch Initiativen direkt die Verfassung mitgestalten sowie durch Referenden die Macht des Parlaments einschränken zu können, hat das Schweizer Volk stets ein gewichtiges Wort mitzureden – insbesondere im Vergleich zu vielen anderen Staaten dieser Welt. Dass dabei Schweizer Bürgerinnen und Bürger, die ihren Wohnsitz nicht mehr in der Schweiz haben, mitbestimmen und sich sogar ins Schweizer Parlament wählen lassen können, ist ebenfalls keineswegs selbstverständlich.

Damit Demokratie aber nicht nur zwar ein hehres Ideal bleibt, das lediglich verschriftlicht im Verfassungstext existiert, müssen die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte auch wahrnehmen können. Das schliesst auch Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer mit ein – auch ihnen soll die Beteiligung faktisch ermöglicht werden.

Dabei gibt es jedoch einige Hürden von praktischer Natur: Die Abstimmungsunterlagen über die ganze Welt zu verteilen, sodass diese rechtzeitig ankommen, ist logistisch ein äusserst komplexes Unterfangen. Dies ist umso mehr der Fall, da der Versand der Unterlagen föderal und somit dezentral organisiert ist. Vor diesem Hintergrund waren vergangene Bemühungen, die zuständigen Behörden schlicht zum früheren Versand der Unterlagen zu animieren, auch von eher bescheidenem Erfolg gekrönt.

Hinzu kommt die internationale Dimension: Überschreiten die Unterlagen auf ihrer Odyssee die Schweizer Landesgrenzen, entziehen sie sich dem Einflussbereich der Schweizer Behörden und der Schweizer Post. Stattdessen geht die Verantwortung an die Post des entsprechenden Staates über. Diese ist allerdings nicht immer ideal organisiert und in einigen Ländern deutlich schwerfälliger als wir es in der Schweiz gewohnt sind. Die Folge: selbst bei für Schweizer Verhältnisse fristgerechtem Versand kommen die Unterlagen bei den Auslandschweizer/innen nicht rechtzeitig an, insbesondere wenn diese ausserhalb der grösseren Städte leben.

 

An Lösungsansätzen mangelt es nicht

Dennoch gäbe es einige Lösungsmöglichkeiten, welche Politik und Behörden im Dialog mit ihren Partnerorganisationen auch diskutieren. Dazu gehörte beispielsweise jüngst der e-Versand: Auslandschweizer/innen hätten demnach ihre Abstimmungsunterlagen auf elektronischem Wege direkt erhalten, selbst ausgedruckt und sie anschliessend ausgefüllt selbst in die Schweiz geschickt. Der Ständerat hat dieses Projekt allerdings im Sommer 2020 begraben, nicht zuletzt aus Sicherheitsbedenken.

Eine bereits seit Längerem diskutierte Alternative wäre der Versand der Unterlagen via Diplomatenpost. Damit würden die Gemeinden und/oder Kantone die Dokumente nicht mehr selbst direkt ins Ausland versenden, sondern dies dem Kurierdienst des EDA überlassen. Dabei handelt es sich um einen EDA-internen Kanal, der insbesondere die Korrespondenz  mit und zwischen den Schweizer Vertretungen (Botschaften, Konsulate, Generalkonsulate, etc.) im Ausland sicherstellt. Konkret sieht der Vorschlag vor, dass die Unterlagen von einer zentralen Stelle via Diplomatenpost an die Vertretungen geschickt und von dort aus an die registrierten Auslandschweizer/innen über den örtlichen Postweg weitergeleitet würden. Alternativ könnten Auslandschweizer/innen die Dokumente auch bei der Vertretung abholen. Einmal ausgefüllt, würden die Unterlagen wieder an die Vertretungen geschickt, die sich um den Rückversand in die Schweiz kümmern würden. Diese Idee gewinnt aktuell wieder an Rückenwind: wie Swissinfo kürzlich berichtete, soll bereits im Dezember 2020 eine entsprechende Motion im Nationalrat eingereicht werden.

 

Dauerbrenner e-Voting

Ein weiterer, viel diskutierter Lösungsweg stellt zudem nach wie vor e-Voting dar. In der Tat ist es eine alte Forderung, wie wir an dieser Stelle auch schon berichtet haben. Aktuell sieht es jedoch eher mau aus: Nachdem im Jahr 2019 der Kanton Genf sein System eingestampft und die Post ihres ebenfalls zurückgezogen hat, ist e-Voting zurzeit in der Schweiz nicht mehr möglich. Im Windschatten der letzten Abstimmung wurden die Stimmen allerdings wieder lauter, die für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer die Teilnahme via e-Voting verlangen.

Gestorben ist das Projekt also noch nicht, doch der Patient e-Voting liegt zumindest im Koma. Ob und wann e-Voting aus diesem Schlummer wieder erwachen wird, ist ungewiss. Diagnose: Immunschwäche. Immunschwäche deshalb, weil sowohl das System des Kantons Genf als auch jenes der Post Sicherheitslücken aufwiesen – beide konnten in der Vergangenheit gehackt werden. Das ist grundsätzlich keine gute Voraussetzung, sind doch Glaubwürdigkeit und Vertrauen in unsere Institutionen – und dazu gehört eben gerade auch die Korrektheit der Wahl- und Abstimmungsresultate – zentral für die Demokratie.

Es ist daher absolut unabdinglich, dass e-Voting nicht zu (massenhaft) verfälschten Resultaten führt. Zahlreiche IT-Expertinnen und Experten haben dabei bereits in der Vergangenheit mehrfach auf mögliche Manipulationsmöglichkeiten hingewiesen. Nebst Methoden technischer Natur könnte dabei auch die Beeinflussung der Resultate via vereinfachtem Stimmenkauf stattfinden, wie die ETH Zürich aufzeigte.

Gleichzeitig gibt es aber auch viele Expertinnen und Experten, die von e-Voting nach wie vor überzeugt sind. Die Probleme und Gefahren liessen sich ihnen zufolge durch ein ausgeklügeltes System minimieren, sofern dieses konstant weiterentwickelt und verbessert würde. Dazu könnte etwa die Blockchain-Technologie dienen, wie wir in unserem letztjährigen Beitrag beschrieben.

Gänzlich eliminieren lassen sich die Risiken indes wohl kaum. Allerdings sollte dabei auch nicht vergessen werden, dass selbst die klassische Wahl mit Papier und Kugelschreiber ein gewisses Manipulationsrisiko aufweist, wie etwa die Abstimmung zum Kantonswechsel von Moutier 2017 aufzeigte.

 

Ausblick

Zurzeit findet ein Dialog zwischen Verwaltung und Wissenschaft über die Zukunft der elektronischen Stimmabgabe statt. Ziel dabei ist es, eine Neuausrichtung des e-Voting-Versuchsbetriebs auf Basis allenfalls angepasster rechtlicher und technischer Grundlagen zu bestimmen. Die Ergebnisse sollen Ende 2020 vorliegen. Unterdessen soll die Diplomatenpost-Idee noch im Dezember 2020 in den Nationalrat kommen. Somit dürfte im nächsten Jahr ein weiteres Kapitel aufgeschlagen werden in der langen Geschichte der Abstimmproblematik für Auslandschweizer/innen.

 

Wie stehen Sie zu den unterschiedlichen Lösungsansätzen? Wie wichtig ist Ihnen die Teilnahme an den Abstimmungen und Wahlen in der Schweiz? Haben Sie Ihre Unterlagen diesmal rechtzeitig erhalten?  

 

 

 

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