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Die Scheidungsrate in der Schweiz ist zwar tendenziell rückläufig, doch gehen statistisch nach wie vor vier von zehn Ehen in die Brüche. Mit dem Scheitern einer ehelichen oder auch unehelichen Partnerschaft geht für viele Menschen ein Kapitel ihres Lebens zu Ende – und ein neues öffnet sich. Viele zieht es dabei auch ins Ausland, sei es für eine neue Arbeit, eine neue Liebe oder zu Familienangehörigen.

Was auch immer die Hintergründe der Trennung oder des Auswanderungswunsches sein mögen – wenn Kinder involviert sind, verkompliziert sich die Angelegenheit deutlich. Oft stellt sich dabei die Frage: Darf ich meine Kinder einfach ins Ausland mitnehmen? Oder aus Sicht des Partners, der Partnerin: Habe ich das Recht darauf zu bestehen, dass die Kinder in der Schweiz bleiben?

Bei der Behandlung dieser Frage sei gleich zu Beginn vorweggenommen: jeder Fall ist einzigartig und muss individuell beurteilt werden. Dennoch gibt es einige Grundregelungen, die für alle gelten.

 

Gemeinsames Sorgerecht: keine Auswanderung ohne Zustimmung des anderen Elternteils

Nach der Scheidung oder Trennung sowie bei unverheirateten Paaren liegt im Regelfalls das sog. gemeinsame Sorgerecht vor (Art. 296 Abs. 2 ZGB). Das bedeutet, dass beide Elternteile das Recht und die Pflicht haben, gewisse Entscheidungen im Namen der Kinder vorzunehmen. Dies betrifft unter anderem deren Ausbildung, die Durchführung medizinischer Eingriffe oder auch die religiöse Erziehung. Das gemeinsame Sorgerecht bedeutet aber auch, dass beide Elternteile über den Aufenthaltsort des Kindes zu befinden haben. Im Klartext: wenn ein Elternteil mit den Kindern auswandern will, braucht es die Zustimmung des anderen Elternteils (Art. 301a Abs. 2 lit. a ZGB).

Grundsätzlich gilt: Auswandern ist der Ausdruck verfassungsmässiger Rechte (Niederlassungsfreiheit, persönliche Freiheit, Gewerbefreiheit), und der Staat hat nicht in die Lebensplanung der Eltern einzugreifen. Die Auswanderung des Elternteils an sich kann also nicht verboten werden. Ob das Elternteil die Kinder mitnehmen darf, ist hingegen eine ganz andere Frage.

Sind sich die Eltern über die Frage des Verbleibs oder Wegzugs der Kinder einig, ist die Sache relativ einfach. Verweigert das zurückbleibende Elternteil jedoch die Zustimmung, kann sich die auswandernde Mutter oder der auswandernde Vater an die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) bzw. ein Gericht wenden. Solche Fälle sind auch schon bis vors Bundesgericht getragen worden. Dieses hat 2016 in einem aufsehenerregenden Fall die grundsätzlichen Kriterien zur Entscheidung bzgl. Aufenthalt der Kinder herausgearbeitet (vgl. Bundesgerichtsurteil 5A_450/2015).

Darin hält das oberste Gericht der Schweiz fest, dass das Kindswohl bei der Beurteilung ausschlaggebend ist. Zu beurteilen ist, ob es für das Kind besser ist, mit dem wegziehenden Elternteil ins Ausland zu gehen oder beim anderen Elternteil in der Schweiz zu verbleiben. Dies ist eine komplexe Frage und muss von Fall zu Fall analysiert werden. Entscheidend sind dabei Faktoren wie z.B. das Alter der Kinder, Fremdsprachenkenntnisse, Vertrautheit mit dem Auswanderungsland, Erziehungskontinuität und viele weitere.

Das Motiv des auswandernden Elternteils ist in dieser Frage dabei grundsätzlich zweitrangig. Dennoch stellt das Bundesgericht klar: geht es nur um Abenteuerlust ins Ungewisse oder gar um das Entfremden des Kindes vom anderen Elternteil, so kann dies das Urteil zum Nachteil des auswandernden Elternteils beeinflussen. In solchen Fällen kann unter Umständen der Verbleib der Kinder in der Schweiz eher ihrem Wohlergehen entsprechen – vorausgesetzt, das zurückbleibende Elternteil kann und will sich um die Kinder kümmern.

 

Die Behörden können das letzte Wort haben

Kommt die KESB bzw. das Gericht zum Schluss, dass es im Wohl des Kindes liegt, in der Schweiz zu bleiben, so ist dem auswanderungswilligen Elternteil tatsächlich die Mitnahme des Nachwuchses untersagt – alleine auswandern darf er oder sie jedoch ohne Weiteres. Die Kinder bleiben in der Schweiz.

Erlauben die Behörden hingegen den Wegzug mitsamt Kind, so sind dem zurückbleibenden Elternteil allenfalls aber nach wie vor Besuchsrechte zuzugestehen. Ausgangslage sind dabei das bisherige Betreuungsmodell sowie die Bestimmungen im allfälligen Scheidungsurteil (besuchten die Kinder bspw. jedes zweite Wochenende das andere Elternteil?). Diese Regelungen werden dabei den neuen Umständen angepasst: bei grosser Distanz können zum Beispiel häufige kurze Besuchstage durch längere Ferienaufenthalte ersetzt werden.

Nimmt das Elternteil die Kinder aber dennoch mit ins Ausland, liegt gemäss Haager Entführungsübereinkommen (HKÜ) eine internationale Kindsentführung vor (vgl. Art. 3 und 5 HKÜ). In diesem Fall greift dieses internationale Rechtshilfeabkommen und ermöglicht eine Rückführung des Kindes in die Schweiz (Art. 1 und 8ff HKÜ). Ein Verstoss gegen das Übereinkommen kann unangenehme Folgen haben: Es drohen bis zu drei Jahren Haft (Art. 220 StGB).

 

Alleiniges Sorgerecht: lediglich Informationspflicht

Das alleinige Sorgerecht ist seit der Gesetzesrevision von 2014 der Ausnahmefall. Es wird grundsätzlich nur bei schweren und langanhaltenden Konflikten im Elternhaus erteilt. In diesen Ausnahmesituationen benötigt das auswandernde Elternteil mit alleinigem Sorgerecht nicht die Zustimmung des anderen Elternteils. Es ist lediglich dazu verpflichtet, die zurückbleibende Person rechtzeitig zu informieren (Art. 301a Abs. 3 ZGB).

Bild: Kelly Sikkema @unsplash.com

 

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