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Die Fünfte Schweiz wächst und wächst – so könnte man den Befund des Bundesamts für Statistik grundsätzlich zusammenfassen. In den letzten zwanzig Jahren hat die ausserhalb der Schweiz lebende Bevölkerung nämlich ohne Unterbruch zugenommen und liegt heute bei rund 760'000.

Anmerkung: im Jahre 2017 wurde die statistische Methode zur Erhebung der Anzahl AuslandschweizerInnen überarbeitet – in Wirklichkeit hat die Bevölkerungszahl aber auch in diesem Jahr nicht abgenommen.

Die Fünfte Schweiz würde somit hinter den Kantonen Zürich (ca. 1.5 Millionen EinwohnerInnen), Bern (rund 1 Million) und Waadt (etwa 790'000) den bevölkerungsmässig viertgrössten Kanton bilden, weit vor dem somit fünftplatzierten Kanton Aargau mit seinen 680'000 EinwohnerInnen.

Anders ausgedrückt leben etwa 10.6% aller SchweizerInnen – also gut jede/r zehnte – ausserhalb der Eidgenossenschaft. Das ist eine durchaus bemerkenswerte Zahl, wie insbesondere der Vergleich mit unseren Nachbarländern zeigt: so entspricht die Gemeinde der Auslanddeutschen nur etwa 4.1% der Gesamtbevölkerung Deutschlands. Im Falle Frankreichs sind es 4.5%, für Österreich und Italien immerhin 6.6% bzw. 6.8%. Für Liechtenstein liegen leider keine zuverlässigen Daten vor.

 

Eine historisch gewachsene Diaspora

Doch warum ist die Schweizer Diaspora so gross? Die Gründe sind einerseits in der Geschichte zu suchen: die Eidgenossenschaft war bis ins 20. Jahrhundert eines der ärmsten und unterentwickeltsten Länder Europas. Viele SchweizerInnen sahen angesichts ihrer Misere keine andere Möglichkeit, als ihr Glück im Ausland zu suchen, z.B. in den Nachbarländern oder auch in Übersee (insbesondere in den USA, Argentinien und Kanada). Ein weiterer historisch bedingter Grund, der mit der vorherrschenden Armut eng verknüpft ist, dürfte ferner die rege Söldnertätigkeit der Schweizer sein. Schweizer Krieger wurden während langer Zeit als besonders starke und zähe Kämpfer geschätzt und zum Beispiel in Frankreich oder Preussen.

Ferner sind die Schweizer seit jeher auch ein Volk von Händlern: der bescheidene Binnenmarkt wurde vor allem mit der Industrialisierung schnell zu klein, sodass zahlreiche Handelsmissionen auf der Suche nach neuen Märkten ins Ausland aufbrachen.

Jenseits dieser historischen Faktoren stellt das Schweizer Staatsbürgerschaftsrecht ein gewichtiger Grund dar: bringen Schweizer Eltern ein Kind zur Welt, so erhält es ebenfalls den Schweizer Pass –auch wenn es im Ausland geboren wird; dasselbe gilt, wenn nur ein Elternteil die Schweizer Staatsangehörigkeit besitzt. Dadurch wächst mit der Anzahl Kinder auch die Fünfte Schweiz stetig. Zudem ist seit 1992 die doppelte Staatsbürgerschaft von Seiten des Schweizer Rechts ohne Einschränkungen möglich, wobei dabei noch immer die Gesetzgebung des Zweitstaates ausschlaggebend ist. Der Effekt auf die jeweilige Auslandschweizergemeinde hängt dabei davon ab, wie schnell man sich in der neuen Heimat einbürgern kann und ob man dafür seine Schweizer Staatsbürgerschaft aufgeben muss. 75% der AuslandschweizerInnen haben mindestens zwei Pässe.

Vielleicht waren wir Schweizer auch schon immer und bis heute einfach ein rastloses Volk von Träumern. Die kleine Schweiz mit ihren umschliessenden Bergen oder den dicht besiedelten Städten mag vielen schnell als zu beengend vorkommen, sodass so mancher sein Glück in der Ferne suchen will. Letztlich sind die Gründe wohl so vielfältig wie die einzelnen Geschichten der Individuen, die dahinterstehen.

 

Besonders Asien wird immer beliebter als Auswanderungsdestination

Was auch immer letztlich die Gründe sein mögen, eines steht fest: die Fünfte Schweiz verzeichnete in den letzten 20 Jahren ein konstantes, durchaus bemerkenswertes Wachstum:

Im Rekordjahr 2007 haben nicht etwa besonders viele SchweizerInnen der Eidgenossenschaft den Rücken gekehrt. Vielmehr handelt es sich gemäss BfS vermutlich um schon länger im Ausland lebende Personen, die sich in diesem Jahr nachträglich noch immatrikulierten. Dies dürfte im Zusammenhang mit dem endgültigen Verfall der verlängerten Reisepässe des alten Modells 85 stehen. Abgesehen von dieser Anomalie verzeichnete die Auslandschweizergemeinde stets ein jährliches Wachstum von 1.2% bis 2.3%. 2018 wuchs sie um 1.1%.

Interessant ist überdies eine Aufschlüsselung der Wachstumsraten nach Kontinent: im letzten Jahr wuchs die Anzahl an AuslandschweizerInnen in Europa mit +1.5% am stärksten, dicht gefolgt von Asien (+1.1%) und Ozeanien (+0.9%). Das Wachstum der Schweizerkolonie in Nordamerika hat sich dagegen ein wenig abgeschwächt, insbesondere aufgrund der schwierigen Lage in Mexiko.

Lateinamerika und Afrika weisen gar negative Wachstumsraten von jeweils -0.5% auf. Im Falle Lateinamerikas wird diese Entwicklung insbesondere von der prekären Situation in Venezuela, Nicaragua und Brasilien getragen, die zahlreiche SchweizerInnen zur Rück- oder Weiterwanderung bewegte. Auch diverse afrikanische Länder wie Ghana, Marokko oder Tunesien verlieren an Schweizer BürgerInnen.

Betrachten wir die Entwicklung der Wachstumsraten je Kontinent über die letzten 20 Jahre hinweg, so springt erneut das Jahr 2007 ins Auge. Wie oben erwähnt handelt es sich dabei jedoch um eine statistische Anomalie.

Augenfällig ist aber auch das Wachstum in Asien: nachdem es gegen Ende des letzten Jahrtausends kurzzeitig einbrach – vermutlich wegen der Finanz-, Währungs- und Wirtschaftskrise der Jahre 1997-1998 in Ostasien – wurde die dort lebende Auslandschweizerkolonie zu jener mit dem stärksten Wachstum. Die Entwicklungen in Europa, Ozeanien und Amerika blieben hingegen relativ stabil, wobei man gerade für Amerika die Auswirkungen der Finanzkrise sieht: nach 2008 schrumpfte das Wachstum jahrelang und erreichte 2011 mit +0.3% seinen tiefsten Stand seit 2002. Wenig stabil sieht die Lage in Afrika aus: hier wird das Bild durch Wachstumsausschläge wie 2012 einerseits, andererseits aber auch durch Minuswerte wie 2016 geprägt.

Wie lassen sich diese Entwicklungen erklären? Welche Länder sind besonders im Trend? Welche Länder verzeichnen eine Abwanderung an AuslandschweizerInnen und warum? Diesen und weiteren Fragen widmen wir uns in den folgenden Teilen unserer Artikelserie «die Fünfte Schweiz».

 

 

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