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Wir leben seit November 2005 in Kairo. Unsere beiden Söhne Karim (15 Jahre) und Malik (7 Jahre) besuchen eine deutsche Schule außerhalb von der Großstadt Kairo. Mein Mann ist Journalist und hat viele Jahre in Paris und Rom gearbeitet. Die Stadt, in der wir wohnen, heißt City of 6th October. Die Distanz bis in die Innenstadt Kairos beträgt ca. 25 Kilometer.  Viele neue Quartiere sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen und mittlerweile beträgt die Anzahl der Einwohner auch über 4 Millionen! Der Großraum Kairo wird auf über 25 Millionen Einwohner geschätzt. Und dennoch hat man das Gefühl, dass in gewissen Kreisen alle einander kennen und ein gewisser „Dorfgeist“ herrscht.

Vor der Revolution im Januar 2011 war das Land relativ stabil. Hin und wieder kamen kleine Demonstrationen oder Übergriffe von Moslembrüdern vor, welche jedoch immer gleich abgefangen wurden. Es war bekannt, dass im Land Korruption herrscht und gewisse Leute unglaublich profitieren können, vor allem die hohen Jobs in den Ministerien. Jedoch gab es ein gutes und funktionierendes System, der Müll wurde ordentlich entsorgt und wiederverwertet (eine der allerwichtigsten Aufgaben in dieser Stadt), die Straßen waren gepflegter als heute und es herrschte ein allgemein fröhlicherer Lebensgeist als heute. Seit Januar 2011 sind die Leute verunsichert. Viele hatten sich  in der Revolution einen Weg zur Demokratie erhofft, ohne sich jedoch vorstellen zu können, was Demokratie bedeutet und was  eigentlich von jedem Einzelnen erwartet wird. Jeder hat geglaubt, sein eigener Herr und Meister zu sein.  Gesetze wurden in die Welt gesetzt, die von keiner Instanz kontrolliert oder gar weiterverfolgt wurden. Die Folge war, dass jeder sich so verhält, wie er es für richtig ansieht.

Die Preise sind seit 2011 stetig angestiegen. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass das Durchschnittseinkommen eines Ägypters nicht mehr als 200-300 SFR im Monat beträgt. Gute bezahlte Jobs gibt es fast nur in ausländischen Privatunternehmungen und in Internationalen Schulen. Der Unterschied von ganz reich zu ganz arm wird immer größer. Mehr und mehr Bettler und bettelnde Kleinkinder sind auf den Straßen anzutreffen. Diese Leute arbeiten ebenfalls im Schichtwechsel. Andererseits schießen immer noch größere und pompösere Shoppingmalls aus dem Boden, die meistens von saudischen Investoren oder Investoren aus den Golfländern errichtet werden. Seit Juni 2016 haben sich die Preise um mehr als einen Drittel erhöht. Die meisten Löhne werden jedoch nicht angepasst und auch der Teuerungsausgleich wird wenig berücksichtigt. Vor 10 Jahren kostete ein Kilogramm Rindfleisch ca. 40 LE, heute sind es 160 LE. Viele Leute, die bereits aufs Fleisch verzichten, müssen dies nun auch mit dem Gemüse tun. Tomaten, Gurken, Trauben, Bananen, also alles Früchte, welche hier angebaut werden, sind für viele fast unerschwinglich geworden. Importierte Produkte sind seit ca. 2 Monaten alle gestoppt worden. Dies gilt ebenfalls für importierte Autos aus dem Ausland.  Kleines Beispiel: Rasierschaum sowie Johnson Babyöl, Produkte, welche man sich nicht mehr aus dem Sortiment wegdenken kann, sind plötzlich verschwunden. Schokolade, Kekse, Küchengeräte, etc. ebenfalls. Die Preise für die Handys sind rasend angestiegen. Vor den Sommerferien kostete eine kleine Dose Niveacreme (50 ml) 8 LE, heute sind es 18. Seit zwei Wochen ist Zucker fast nicht mehr bekömmlich.

Am 11. November wollen viele Leute erneut demonstrieren und auf die Straßen gehen. Darunter auch viele Moslembrüder, die ihre Unzufriedenheit gegenüber der Al Sisi Regierung kundtun wollen. Jedoch werden sie kaum eine Chance haben, denn jeder kleine Aufstand oder jede kleine Menschenansammlung wird sogleich vom Militär zerstreut.

Auf der anderen Seite gibt es auch schöne Aspekte, hier zu leben. Es kommen zwar immer weniger Ausländer nach Ägypten, um sich niederzulassen, aber diejenigen, mit denen ich oft rede, fühlen sich sehr wohl hier und loben vor allem die Hilfsbereitschaft und die Freundlichkeit des ägyptischen Volkes.

Vor allem, wenn man einen gewissen Wohlstand genießen kann und seinen Kindern eine gute Schulausbildung ermöglichen kann, kann man hier Einiges profitieren. Dies ist aber leider fast nur noch in privaten Schulen möglich, welche ein Schulgeld zwischen 3000-15000 SFR jährlich verlangen. Die Kinder absolvieren neben dem ägyptischen Program mit den Fächern Arabisch, Religion und Social Studies ein ausländisches Curriculum. Die beliebtesten Schulen sind die britischen, die amerikanischen und die deutschen. Es gibt eine französische und eine deutsche Universtität und einige britische und amerikanische Universitäten, die jedoch auch für den Durchschnittsägypter unerschwinglich sind (ab 20.000 SFR jährlich). Unsere Kinder wachsen eigentlich dreisprachig auf: Deutsch, Arabisch und Englisch. Da Ägypten dennoch sehr nahe an Europa liegt, hege ich kaum irgendwelche Befürchtungen, dass es einmal eine „schwarze Revolution“ geben könnte und das Land von Extremisten regiert wird. Es sind immer noch sehr viele freidenkende Menschen vorhanden und ich habe auch die Hoffnung (die muss man einfach nicht aufgeben), dass die Situation sich innerhalb der nächsten 2-3 Jahre wieder verbessert. Das Land bietet unglaublich Vieles an Sehenswürdigkeiten. Besonders beeindruckend ist  die Verschmelzung der pharaonischen Kultur mit dem Christentum und dem Islam. Auf kleiner Fläche kann der Besucher innerhalb ein paar Tage wichtige Altertümer besuchen und gleichzeitig wird ihm ein Einblick ins Alltagsleben (Straßenleben und Hektik, aber auch Wasserpfeifen rauchende Männer in den Cafés) vermittelt. Es ist unglaublich, welche Farbenvielfalt, Gerüche und Geräusche hier herrschen. Und der Geräuschpegel ist immer vorhanden. Richtig dunkel wird es auch nie, da unglaublich viel Elektrizität an Leuchtreklamen verschwendet wird. Dafür gibt es keine oder fast keine Straßenbeleuchtungen in Nebenstraßen.

Ein weiterer Vorteil hier sind die sehr geringen Personalkosten: So kostet eine Putzfrau, ein Türwächter, ein privater Fahrer, ein Gärtner, etc. nicht sehr viel (150-200 SFR im Monat). Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, gutes und vor allem EHRLICHES Personal zu finden. Leider wurden uns in all den Jahren auch schon diverse Sachen entwendet (von Kinderpyjamas über Unterwäsche bis zum Svarovskischmuck oder teurem Parfum).

Nicht vergeblich heißt es ja im Sprichwort: Wer einmal vom Nil getrunken hat, kommt immer wieder zurück.

Fast alle Menschen, die ich kenne, welche länger als 5 Jahre hier gelebt haben, möchten entweder nicht mehr weg von hier oder kommen regelmäßig wieder zu Besuch.

In diesem Sinne hoffen wir alle das Beste und wünschen dem Land und seinen Leuten alles Gute und viel Kraft, diese Zeiten zu überstehen. Bis zum nächsten Mal

Dorothee El Sayed (in Kairo von 1999-2001 und 2005 bis heute)

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