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Vor über sieben Jahren wanderte ich in den Sinai aus, nach Dahab. Seit meinem ersten Besuch gefiel mir der bunte Mix an Leuten in diesem verschlafenen, kleinen Touristenort am Golf von Akaba. Wie so viele andere vor und nach mir blieb ich hängen. Das alltägliche Leben in Dahab hat einen anderen Rhythmus als in Zürich. Ruhiger, weniger hektisch, weniger planbar, weniger geregelt. Schnell lernt man die drei wichtigsten arabischen Ausdrücke insha’allah, malesh und bukra – diese drei Ausdrücke, die so viel über das Leben und die Mentalität der Leute hier ausdrücken. Insha’allah bedeutet „So Gott will“ und meint so viel wie „wenn’s anders kommt, dann war es Allahs Wille“; malesh kommt dem schweizerischen „janu“ ganz nah, also in etwa „macht nichts“ oder „keine Aufregung“; und bukra heisst wörtlich übersetzt „morgen“, kann aber auch übermorgen oder in drei oder vier Wochen bedeuten.

Als ich 2008 in den Sinai kam, florierte der Tourismus in Ägypten. Leute aus aller Welt kamen nach Dahab, um zu tauchen, wind- und kitesurfen, für Wüstensafaris oder Strandferien. Als ich zwei Jahre später schwanger wurde, war für mich klar, dass unser Kind in Ägypten zur Welt kommen soll. Der Geburtstermin wurde auf Anfang Februar 2011 berechnet. Am 25. Januar 2011, dem „Tag des Zorns“, begann die Revolution in Ägypten.

Es war in jeder Hinsicht eine aufregende Zeit. Aufgrund der Benzinknappheit bildeten sich an den Tankstellen lange Schlangen. Abends gab es Ausgangssperren. Und wir wussten, sobald bei mir die Wehen einsetzen, müssen wir mit dem Auto 100km nach Sharm el Sheikh fahren! Das Fernsehen war zeitweise unsere einzige Informationsquelle, da das Internet – und teilweise auch das Mobilfunknetz – von der Regierung abgeschaltet wurde. Auf CNN und Aljezeera konnte man live miterleben, was auf dem Tahrirplatz in Kairo und an anderen Orten im Land geschah. Die Emotionen reichten von Euphorie und Freude bis zu Trauer und Unbehagen. Anfang Februar kontaktierte mich die Schweizer Botschaft und empfahl mir, das Land zu verlassen. Selbst wäre ich nicht im neunten Monat schwanger gewesen, hätte ich Dahab nicht verlassen, da ich mich dort zu keinem Zeitpunkt unsicher oder unwohl gefühlt hatte. Dahab blieb die ganze Zeit hindurch ruhig, und vier Tage nach dem Rücktritt des Präsidenten Mubarak kam unsere Tochter zur Welt.

Seither ist viel passiert. Politisch und wirtschaftlich durchlebte Ägypten in den letzten Jahren ein ständiges Auf und Ab. Der Tourismus litt stark unter den Bedingungen und Ereignissen der letzten Jahre. Seit dem Flugzeugunglück über dem Sinai letzten November hat sich die Lage weiter verschlimmert. Nur noch wenige Touristen kommen derzeit nach Dahab, was auch daran liegt, dass es kaum noch Direktflüge von Europa oder Russland in den Sinai gibt. Lokale Geschäfte leiden unter der Situation und viele Europäer (und Ägypter!) verlassen Dahab, da es hier keine Arbeit mehr gibt.

Trotz der desolaten Situation gab es für mich in den ganzen Jahren nur eine einzige Situation, in der ich mich kurz unwohl gefühlt habe. Im Sommer 2013 gab es vor und nach dem Abgang des Präsidenten Mursis wieder Unruhen im ganzen Land. Abends wurde eine Ausgangssperre ausgerufen. Als wir aus unserem Sommerurlaub in Europa nach Ägypten zurückkehrten, landete unser Flugzeig spät abends in Kairo. Wir fuhren mit einem Minibus vom Flughafen zur Wohnung meiner Schwiegereltern. Viele Strassen waren gesperrt und von Soldaten bewacht. Bei einer dieser Strassensperren stieg mein Mann aus und fing an, mit einem der Soldaten zu diskutieren. Der Soldat war sehr jung und nervös, und mir wurde bewusst, wie angespannt die Lage war.

In Dahab haben viele Leute Angst, aber weniger um ihr Leben, als vielmehr um ihr finanzielles Überleben. Wir leben in einer verrückten Zeit. Der Krieg ist nicht weit weg von hier, Europa droht, an der Flüchtlingsfrage zu zerbrechen, der Terror ist in den Medien und in den Köpfen der Menschen präsent. Viele fragen sich: wo kann ich mich überhaupt noch sicher fühlen? Wahrscheinlich ist die Schweiz eines der sichersten Länder der Welt, dennoch bleibe ich in Ägypten. Für mich persönlich ist die Bedrohung (durch was auch immer) sehr abstrakt und nicht real spürbar.

Der Charme von Dahab ist schwer zu beschreiben. Wer ihn erleben will, kommt am besten vorbei und überzeugt sich selber!

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